Mittwoch, 18. März 2009
Das Wort zum Donnerstag
völlig unwollig, aber irgendwie muss ich das aufschreiben:

Mein Papa ist zur Zeit im Krankenhaus. In seinem Nachbarbett liegt ein 87jähriger dementer Herr, der die ganze Nacht Geschützbefehle erteilt. Er berechnet dauernd Flugrouten von "Kanonenkugeln" und flüchtet gelegentlich vor dem Feind.
Der Mann erlebt eine Zeit die seine Jugend hätte sein sollen, jetzt,mehr als 60 Jahre später erneut und in seinem Kopf genauso blutig und wahr wie vor mehr als einem halben Jahrhundert.........

Nach dem Krankenhaus besuchte ich meine Oma, ich weiss nicht wie, aber irgendwie kamen wir im Gespräch auch auf 1939. Oma redete nie so viel von früher wie mein Großvater. Klar weiss ich, dass sie geflüchtet sind, klar weiss ich dass sie die Luftangriffe erlebt haben und wie. Aber heute beschreibt sie den 3.September 1939, die Tage davor und danach, in Details in Einzelheiten die mich beinahe mitheulen lassen. Ich habe selten erlebt das Oma sich die Augen beim erzählen wischt, aber sie war genauso in der Erzählung, in ihren Erlebnissen gefangen wie ich.
Wie ist es wohl enn die amtliche Anordnung kommt alles Vieh aus den Ställen zu treiben, ein paar Dörfer weiter. Dort treiben andere Bauern das eigene und ihr Vieh, egal ob Schaf, Schwein, Milchkuh weiter. Nach...keine Ahnung wohin. Nur dem Feind darf es nicht in die Hände.fallen.
Wie ist das Gefühl wenn das Militär die Pferde einzieht die man für den Ackerbau benötigt. Sie mitnimmt, nach irgendwo an eine fremde Front.
Was ist das für ein Gefühl jetzt, auf Befehl die Familie auf den Wagen zu setzen und sich mit dem letzten Gaul, den letzten Ochsen nach irgendwohin durchzuschlagen, nicht zu wissen wo man ankommt, das ganze Dorf stehen lassen, die bestellten Felder, die eingebrachte Ernte alles bleibt zurück und man geht einfach los..........
120km haben sie zurückgelegt. In etwa einer Woche sagt sie. Dort wo sie ankamen waren die Bauern enttäuscht. Die Pferde dort sind schwerer, besser für Lehmboden geeignet. Die Bauern mussten ihre Pferde schon abgeben, für die Front. Die Pferde meiner Familie sind kein geeigneter Ersatz. Irgendwo ankommen und sich dann zuallererst nicht richtig fühlen. Zuhause, ein Dorf haben, einen Hof, eine Existenzgrundlage in die man seit Generationen investiert hat und dann in der fremde irgendwo landen, angewiesen auf die Hilfsbereitschaft von Fremden. Deren Äcker bestellen weil die eignen im Sperrgebiet sind...........
Im kommenden Sommer kamen sie übrigens wieder zurück. Obwohl nach an der französischen Grenze hat die Front mein Heimatdorf (abgesehen von Luftangriffen in der Umgebung) nicht erreicht.
Meine Urgroßmutter überlebte den Krieg nicht. Sie starb zwei Tage vor der Einberufung ihres ältesten Sohnes.

Auf dem Heimweg gehen mir viele Dinge durch den Kopf. Ich überquere täglich die Grenze. Die Maginotlinie genauso wie den Westwall. Ich kenne jeden verbliebenen Bunker, jeden übriggebliebenen Graben im Wald.
In meinem Heimatdorf weiss ich wo fremde Menschen von irgendwo sonst aus Deutschland zum Schanzen eingesetzt wurden. Die genauso ihre Familien und ihre Heimat für bestimmte Zeiten verlassen mussten.

Mir fallen die Geschichten ein, die mir Opa erzählt hat, seine Orden, seine Waffe, seine Schussverletzungen, seine Narben.
Ich habe ihn nie gefragt ob er jemand erschossen hat. Ich habe es nicht wissen wollen. Ich liebe meinen Opa und ich bin heute noch davon überzeugt, dass er ein guter Mann war, egal was er im Krieg getan hat.
Heute ist mir eingefallen das man eine silberne Nahkampfspange bestimmt nicht bekommt, wenn man nie bewusst getötet hat.
Ich denke an die Australierin bzw die Amerikanierin (ich habe vergessen welche Nationalität sie hat) die sagt, sie schämt sich dafür dass ihr Großvater ein deutscher soldat war.
Ich schäme mich nicht für meinen Opa. Ich kann nicht mal ein Tier töten, lieber verzichte ich auf Fleisch. Ich weiss nicht was man mit Menschen machen muss damit sie für andere, für politische Ziele, auf Befehl oder anderswie töten.

Ich finde es einfach nur schrecklich und unfair, dass Menschen solche Dinge erleben. Es ist einfach für mich, bei den Nachrichten umzuschalten, wenn Flüchtlinge gezeigt werden, es ist auch einfahc zu sagen "das ist jetzt 60 Jahre her" aber eigentlich ist es nicht einfach und auch nicht richtig, wenn eine alte Frau sich beim erzählen von ihrer Jugend die Augen wischt oder ein alter Herr in seinen Träumen immer noch an der Front steht..............

Ich glaube nicht, dass ich den Jakobsweg irgendwann gehen werde, wenn ich irgendwohin gehe dann bis kurz vor Moskau. Ich möchte wissen wie weit man laufen muss, um dort anzukommen wo mein Opa war und von wo aus er sich verwundet wieder nachhause zurückgeschlagen hat.

Und dann möchte ich mich immer wieder daran erinnern, dass kleine Gesten große Wirkung haben und man auf seine Gedanken achten muss, weil Gedanken Worte folgen und Worten taten und solche Taten dürfen nie folgen. Nirgends auf der Welt!
Und der Gedanke "schalt um, es geht mich nichts an" und "es ist 60 Jahre her" ist womöglich schon der falsche Anfang.

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